Die USA taumeln am Rande des Zahlungsausfall 

Am 19. Januar 2023 wurde die Schuldenobergrenze für US-Regierung erreicht. Nun sind Notmaßnahmen zur Bedienung von Verbindlichkeiten aktiviert. Die Experten von Union Investment gehen von einer Einigung auf eine Anhebung der Obergrenze in letzter Minute aus und erwarten keinen Zahlungsausfall. 

31,381 Billionen US-Dollar und keinen Cent mehr – das suggeriert die Schuldenobergrenze, die der US-amerikanische Kongress festgesetzt hat. Mehr als diese Summe darf die US-Regierung nicht aufnehmen, und diese Grenze ist am 19. Januar 2022 erreicht worden. Eine rasche Einigung auf eine Anhebung oder vorübergehende Aussetzung ist aufgrund der gespaltenen Mehrheitsverhältnisse in Senat und Repräsentantenhaus nach Einschätzung der Experten von Union Investment nicht in Sicht. Die Republikaner, die seit den Midterm-Wahlen im vergangenen November die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, verweigern die Zustimmung zur Anhebung der Schuldenobergrenze, solange US-Präsident Joe Biden nicht deutlichen Ausgabenkürzungen im US-Haushalt zustimmt. Ist deswegen ein Zahlungsausfall der größten Wirtschaftsmacht der Welt unabwendbar? 

  • US-Schulden erreichen erlaubte Obergrenze​

    US-Staatsschuldenobergrenze​

    US-Schulden erreichen erlaubte Obergrenze​
    Quelle: Refinitiv /Bloomberg; Stand: 20. Januar 2023.​
  • US-Schulden erreichen erlaubte Obergrenze​

    US-Liquiditätsversorgung noch gesichert​

    US-Schulden erreichen erlaubte Obergrenze​
    Quelle: Refinitiv /Bloomberg; Stand: 20. Januar 2023.​

Pensionsfonds werden angezapft 

Zunächst einmal nicht. Das US-Finanzministerium (Treasury) erklärte am Donnerstag, nun mit außerordentlichen Maßnahmen arbeiten zu müssen, um einen Zahlungsausfall der Vereinigten Staaten zu vermeiden. Um fällig werdende Verbindlichkeiten zu bedienen, sind zwei staatlich geführte Pensionsfonds angezapft worden. Finanzministerin Janet Yellen sagte, es sei sehr unsicher, wie viel zeitlichen Spielraum diese Notmaßnahmen den Parlamentariern geben werden, um doch noch eine Einigung zu erreichen und damit den Tag X – also einen Zahlungsausfall der USA – zu verhindern. Unter anderem ist dies davon abhängig, wie hoch die Einnahmen für den Staat in der im März und April in Schwung kommenden neuen Steuersaison ausfallen werden.  

Das US-Treasury muss die notwendigen Mittel deshalb nun aus seinem eigenen Konto bedienen. Der Treasury General Account (TGA) belief sich per Ende Dezember auf knapp 450 Milliarden US-Dollar und dürfte bis Mitte des Jahres deutlich abschmelzen. Die Experten von Union Investment erwarten, dass diese zusätzliche Dollar-Liquidität ihren Weg nicht nur in die Reverse Repo-Fazilität, sondern auch in andere Finanzanlagen finden wird, unter anderem auch Auslandsaktiva, was den Kurs des US-Dollar tendenziell belasten könnte. 

Am Kapitalmarkt hat die Nachricht zu keinen großen Schwankungen geführt – doch steigt die Nervosität. Dies lässt sich an der Entwicklung der Risikoaufschläge von Kreditausfallversicherungen (CDS) auf US-Staatspapiere ablesen, die für einjährige Laufzeiten am Donnerstag auf über 70 Basispunkte (BP) und für fünfjährige Laufzeiten auf fast 35 BP und damit auf den höchsten Stand seit fast zehn Jahren angestiegen sind. Am US-Staatsanleihenmarkt werden zudem kurzlaufenden T-Bills mit Fälligkeiten nach September zu höheren Renditen gehandelt als üblich. Derzeit werden die USA von Rating-Agenturen noch mit AAA eingestuft – und eine Abstufung ist nach Einschätzung von Union Investment kurzfristig nicht zu erwarten. 

1979 gab es eine Mini-Pleite 

Die gelassene Reaktion des Marktes ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Zum einen ist es nicht das erste Mal, dass sich eine Einigung auf eine höhere Schuldenobergrenze hinzieht. 1979 kam es sogar zu einem – technisch bedingten – Mini-Zahlungsausfall, obwohl sich der Kongress in letzter Minute einigen konnte. Ende April und Anfang Mai wurden einige fällige T-Bills aufgrund knapper Zeitbudgets und IT-Problemen nicht rechtzeitig zurückbezahlt, was zu einem rund 60 BP höheren Risikoaufschlag für einmonatige US-Papiere geführt hat. Auch hat das US-Finanzministerium seit 1985 bereits mehr als ein Dutzend Male außerordentliche Maßnahmen ergriffen, um den Schuldendienst erfüllen zu können.  

Im derzeit polarisierten politischen Klima in Washington dürfte es aber zu einer längeren Phase der Unsicherheit über Haushalt und Schuldenobergrenze kommen, da keine Seite nachzugeben bereit sein dürfte. Daher ist mit einer zeitweise erhöhten Nervosität an den Märkten zu rechnen, wobei die größte Bewegung bei kurzen Laufzeiten zu erwarten ist. Dennoch gehen die Experten von Union Investment von einer Lösung aus und es dürfte nicht zum Zahlungsausfall kommen. Sie dürfte sich aber unter einigem Drama bis ins dritte Quartal hinziehen. Die letzten Schätzungen von zwei Thinktanks, des Bipartisan Policy Center (BPC) sowie des Committee for a Responsible Federal Budget (CRFB) , erwarten den Tag X aufgrund ihrer Berechnungen frühestens im dritten Quartal beziehungsweise nach Juli, während das Treasury bislang davon spricht, dass die Barreserven und außerordentlichen Maßnahmen zumindest bis Juni für eine Überbrückung ausreichen müssten. 

Verschiedene Wege zu einer Lösung 

Aktuell erscheint es wenig wahrscheinlich, dass der neue Sprecher des Repräsentantenhauses sich auf einen für alle Seiten annehmbaren Kompromiss einlassen wird. Denkbar wäre jedoch, dass es zu einer Einigung im Senat kommt, der dann alle Demokraten und eine Handvoll moderate Republikaner im Repräsentantenhaus zustimmen. Mit einer sogenannten Petition to Discharge (Entlastungsantrag) könnte der Sprecher des Repräsentantenhauses somit umgangen werden. Allerdings erfordert diese Lösung einen zeitlichen Vorlauf, der das Unfallrisiko erhöht. Eine andere, nicht mehr ganz abwegige Lösung könnte sein, dass das Finanzministerium eine 1 Billionen-Dollar-Münze prägen lässt, über die sich aus dem damit erlösten Geldschöpfungsgewinn (Seignorage) die ausstehende Schuldensumme schlagartig um diesen Betrag senken ließe.  

Für den möglichen, aber wenig wahrscheinlichen Fall der Zahlungsunfähigkeit ist davon auszugehen, dass die Laufzeit fälliger Kuponzahlungen und T-Bills täglich rollierend verlängert wird. Davon betroffene Wertpapiere sollten weiterhin in der zuletzt von der US-Notenbank Federal Reserve aufgesetzten Standing-Repo-Fazilität hinterlegbar sein. Dadurch sollten eventuelle Liquiditätsengpässe zumindest für Finanzinstitute mit Zugang zur Fazilität vermieden werden. Mit Blick auf Restrisiken steht das Management von Beständen in T-Bills mit Fälligkeiten ab Jahresmitte im Fokus. 

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
20. Januar 2023, soweit nicht anders angegeben.

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