Geldpolitik kommt in die entscheidende Phase 

Fallende Inflationsraten geben den Notenbanken Spielraum, ihr geldpolitisches Straffungstempo zu drosseln. Allerdings schafft die zuletzt robustere konjunkturelle Entwicklung Herausforderungen. Die Volkswirte von Union Investment erwarten dennoch ein nahendes Ende des Erhöhungszyklus.  

Die Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und der Europäischen Zentralbank (EZB) kommt in eine entscheidende Phase. Nach wie vor stehen die Zeichen auf weiter steigenden Zinsen – doch dürfte das Ende des Zinsanhebungszyklus näher rücken, in den USA schneller als im Euroraum. Zum einen, weil die Inflationsraten beidseits des Atlantiks zurückgehen, wenngleich die Teuerung noch auf erhöhtem Niveau bleibt. Zum anderen, weil sich langsam erste Folgen der Zinsanhebungen in der Konjunktur niederschlagen. So deuten jüngsten Daten aus der US-Industrie auf eine Abschwächung hin.  

Doch völlig klar ist das Bild nicht. Der US-Arbeitsmarkt ist etwa nach wie vor sehr robust, die Arbeitslosenquote im Januar war mit 3,4 Prozent so tief wie seit 1969 nicht mehr. Auch hat die befürchtete Winterrezession einem milderen Abschwung Platz gemacht. Der Rückgang der Wertschöpfung begrenzt sich nach Einschätzung der Volkswirte von Union Investment in den USA und im Euroraum nur noch auf ein Quartal. In Deutschland dürfte der Abschwung mit zwei Quartalen noch am deutlichsten ausfallen. Für die USA erwarten die Experten für das Gesamtjahr 2023 unter dem Strich nun ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von rund einem Prozent. Die Rezession im Euroraum dürfte milde ausfallen, und auf das Gesamtjahr gerechnet ist ein leichtes Plus des BIPs von 0,2 Prozent zu erwarten

Unsere Makroprognosen​

Veränderung des realen Bruttoinlandsproduktes im Vergleich zum Vorjahr​

Unsere Makroprognosen​
Quelle: Union Investment. Stand: 10. Februar 2023.​

Kapitalmarkt reagiert sensibel auf Änderung der Zinserwartungen 

Die robustere Konjunktur schafft Herausforderungen für die Notenbanken. Je robuster sich die Wirtschaft zeigt, desto schwieriger wird ein anhaltendes Absinken der Kernrate der Inflation (ohne Energie und Lebensmittel) in der nahen Zukunft. Derzeit bewegt sich der Kapitalmarkt im Spannungsfeld zwischen der Erwartung sinkender Inflationszahlen und (womöglich) besserer Konjunkturdaten, die zu einer Verlängerung des Zinserhöhungszyklus führen. Der Markt reagiert auf veränderte Zinserwartungen derzeit sehr sensibel. Risikoanlagen wie Aktien würden Unterstützung erhalten, wenn die Zinsen nicht mehr weiter steigen, da der Druck auf die Bewertungen abnimmt. 

Erste Disinflations-Tendenzen in den USA

Dieser Zusammenhang zeigt sich deutlich bei wachstumsstarken Aktien. Nach der Sitzung der US-Notenbank Federal Reserve Anfang Februar haben die Technologieaktien gemessen am Nasdaq 100-Index rund zwei Prozent zugelegt, obwohl die Fed den Leitsatz um 25 Basispunkte (BP) auf 4,5 bis 4,75 Prozent anhob. Der Markt bezog sich dabei auf Fed-Chef Jerome Powell, der auf der Pressekonferenz anlässlich der Zinsentscheidung sagte, man sei nahe des Zinsgipfels angelangt. Auch habe ein Prozess von Preisrückgängen (Disinflation) begonnen, welcher sich jedoch bisher nur in einzelnen Bereichen der Wirtschaft zeige. Die US-Notenbank brauche daher noch mehr Überzeugung, dass dies in der Breite einsetze. Sie achte weiter genau auf die Entwicklung der Daten etwa zu Inflation, Lohnwachstum und Arbeitslosenquote. In diesem Zusammenhang sprach die Fed auch von „weiteren Zinsanhebungen“, was am Markt als falkenhaft aufgenommen wurde. Dementsprechend verflüchtigte sich auch ein Teil der im Rahmen von Zinssenkungsfantasien am Markt aufgekommenen Kursgewinne wieder bei wachstumsstarken Technologie-Unternehmen.  

Welche Erwartungen haben die Experten von Union Investment? Ihnen zufolge bleiben derzeit die Inflations- und Lohnentwicklung in den USA trotz der milden Wirtschaftsschwäche auf dem richtigen Weg. Für Mitte 2023 wird eine Kernrate von rund vier Prozent erwartet. Dennoch ist auf der März-Sitzung der Fed eine weitere Anhebung der Leitzinsen um 25 Basispunkte auf 4,75 bis 5 Prozent wahrscheinlich, wenngleich fundamental nicht erforderlich. Danach sollte das Ende des Zinserhöhungszyklus erreicht sein.

Notenbanken nähern sich dem Zinspeak​

Unsere Erwartung für die weitere geldpolitische Ausrichtung der großen Notenbanken​

Notenbanken nähern sich dem Zinspeak​
Quelle: Union Investment; Stand: 10. Februar 2023. * Basispunkte.​

„High for longer“ 

Anders als es derzeit der Kapitalmarkt einpreist, erwarten die Experten von Union Investment derzeit keinen beginnenden Zinsrückgang in diesem Jahr. Vielmehr dürfte die Fed bis Ende des Jahres an die Seitenlinie treten und die Zinsen unverändert belassen. Aufwärtsrisiken bestehen für die Zinsprognose, falls die Lohnentwicklung in den USA nicht weiter an Fahrt verliert. Erst 2024 dürfte die Fed moderat die Zügel lockern. Durch diese „high-for-longer“-Geldpolitik begegnen die Notenbanken auch ohne eine noch höhere Terminal Rate dem unterliegenden Inflationsdruck. Dieser dürfte auch mittelfristig im Zuge des neuen Kapitalmarktregimes – der Great Transformation – mit höherem Wachstum, höheren Zinsen und Renditen, aber auch größerer Volatilität etwas höher ausfallen. 

Wie sieht das Bild in Europa aus? Die Europäische Zentralbank hat die Zinsen auf der Februar-Sitzung ebenfalls weiter erhöht, und zwar um 50 Basispunkte auf 2,5 Prozent (Einlagensatz). EZB-Präsidentin Christine Lagarde stellte einen ebensolchen Schritt auf der März-Sitzung in Aussicht, wies aber zugleich darauf hin, dass der Teuerungsausblick sich verbessert habe. Die EZB werde nach der März-Sitzung den weiteren Zinspfad „evaluieren“, hieß es. Die Experten von Union Investment erwarten, dass der Zinsgipfel im Euroraum mit 3,25 Prozent über zwei weitere Schritte von 50 BP im März und 25 BP im Mai erreicht wird. Zugleich erwarten sie einen Rückgang der Kerninflation erst ab Mitte des Jahres. Für das Gesamtjahr dürfte die Inflation rund sechs Prozent betragen. 

Leichter Renditeanstieg voraus 

Die Wahrscheinlichkeit eines noch höheren Zinsgipfels dürfte im Euroraum zuletzt eher gestiegen als gefallen sein. Dabei sind diese drei Fragestellungen entscheidend: Schlägt sich die Konjunktur im ersten Quartal 2023 genauso gut, wie im vierten Quartal 2022? Zeigt der Arbeitsmarkt wenig Abkühlungstendenzen? Und überrascht die Kerninflation nach oben? Wenn dies der Fall sein sollte, würde vieles für einen höheren Zinsgipfel sprechen. Entgegen der Marktmeinung erwarten die Experten von Union Investment auch im Euroraum für dieses Jahr keine Zinssenkungen. Und: Die EZB dürfte wohl erst mit Verzögerung auf die US-Notenbank Fed mit Zinssenkungen im Jahr 2025 folgen.  

Zusammenfassend lässt sich sagen: Das geldpolitische Umfeld bleibt anspruchsvoll. Dennoch ist von einem baldigen Ende des Zinsanhebungszyklus auszugehen. Für die Anlageklassen bedeutet dies: Die Renditen von zehnjährigen Bundesanleihen dürften bis zum Ende diesen Jahres noch etwas stärker auf 2,5 Prozent (derzeit 2,1 Prozent) steigen. Demgegenüber dürfte der Renditeanstieg bei zehnjährigen US-Staatspapieren auf 3,75 Prozent (derzeit 3,4 Prozent) etwas moderater ausfallen. Insgesamt sollte eine Verbesserung der Konjunkturlage und die abnehmende Zinsdynamik auch Risikoanlagen wie Aktien in die Karten spielen. Auch wenn die Unsicherheiten groß bleiben, spricht dies für schrittweisen Positionsaufbau bei Kursrückschlägen. Insgesamt erscheint im neuen Kapitalmarktregime dabei langfristig eine ausbalancierte Positionierung zwischen Wachstums- und Substanzwerten (Growth bzw. Value) sinnvoll. 

 

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
13. Februar 2023, soweit nicht anders angegeben.

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