
Gemischte Portfolios aus der Balance
Eine strukturell höhere Inflation gefährdet in gemischten Portfolios die Balance von Ertrag und Risiko. Ein Umdenken ist mehr denn je erforderlich.

Ein Beitrag von Michael Herzum, Leiter Abteilung Macro & Strategy des Bereichs Research & Investment Strategy von Union Investment
Kurz gefasst
- Das veränderte Kapitalmarktumfeld mit einer strukturell höheren Inflation bringt Ertrag und Risiko von gemischten Portfolios aus der Balance.
- MultiAsset-Anleger sollten bei ihrer Vermögensstruktur deshalb stärker den Fokus auf Assetklassen legen, die in diesem Umfeld die Ertragskraft und Robustheit des Portfolios stärken.
- Neben Immobilien, Rohstoffen und inflationsindexierten Anleihen können dies Infrastruktur und Immobilienaktien sein, aber auch eine stärkere Ausrichtung auf Value-Aktien kann sinnvoll sein.
Der Krieg in der Ukraine treibt die bereits hohe Inflation weiter an. Eine schnelle Erholung der Weltwirtschaft von der Coronakrise und damit einhergehende Lieferengpässe hatten die Inflation bereits im Jahr 2021 auf Niveaus wie zuletzt in den 1970erJahren ansteigen lassen. Mit den nun kriegsbedingten Preissteigerungen bei einer Vielzahl von Rohstoffen wie Rohöl, Erdgas, Düngemittel, Nickel und Weizen hat sich die Situation nochmals zugespitzt.
Die Notenbanken befinden sich deshalb in einem Dilemma. Neben einer höheren Inflation wird der Krieg auch auf dem Wirtschaftswachstum lasten. In dem Spannungsfeld von hoher Inflation und schwächerem Wirtschaftswachstum haben sich die Währungshüter Die Notenbanken befinden sich deshalb in einem Dilemma. Neben einer höheren Inflation wird der Krieg auch auf dem Wirtschaftswachstum lasten. In dem Spannungsfeld von hoher Inflation und schwächerem Wirtschaftswachstum haben sich die Währungshüter dazu entschieden, der Inflation zu begegnen. Dies stellt Investoren von gemischten Portfolios vor große Herausforderungen.
Seit Jahresbeginn erlitten Anleger sowohl auf der Aktienwie auch auf der Rentenseite Verluste. Auf der Aktienseite wegen des Drucks auf die Bewertungen aus steigenden Anleiherenditen, auf der Rentenseite wegen gestiegener Zinserwartungen. Die Korrelation zwischen den Assetklassen war entsprechend sehr hoch. Es gab keinerlei Diversifikation und die Schwankungsbreite (Volatilität) war hoch. Die Entwicklung zu Jahresbeginn 2022 ist in ihrem Ausmaß sicherlich außergewöhnlich. Jedoch sehen wir in ihr Muster, die in den nächsten Jahren eine neue Normalität darstellen könnten. Was bedeutet dies für gemischte Portfolios? Und welche Lösungen gibt es für Investoren?
In der neuen Normalität spielt die Inflation eine zentrale Rolle. Wir gehen davon aus, dass sich die Teuerung im Laufe von 2022 wieder etwas beruhigen wird. Ein Rückgang der Inflation auf Raten von deutlich und nachhaltig unter zwei Prozent wie in der Zeit zwischen der Finanzkrise 2008 und der Corona-Pandemie erwarten wir jedoch nicht. Denn mit der Pandemie hat sich ein neues Inflationsregime herausgebildet. Die Folgen des Ukrainekrieges bestärken und beschleunigen den Übergang in das neue Regime. Wir erwarten daher strukturell Teuerungsraten über der Zwei-Prozent-Marke und halten ein kurzzeitiges Überschießen der Inflation – so wie derzeit – für wahrscheinlicher als einen deutlichen Rückgang. Aber welche zentralen Faktoren verschieben sich derzeit hin zu mehr Inflation?

1. Großmachtwettbewerb – Industriepolitik
Anders als im Zeitalter der Globalisierung stehen die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen nicht mehr im Mittelpunkt. Nationale Sicherheitsinteressen dominieren. Ihnen werden im Zweifelsfall auch wirtschaftliche Interessen untergeordnet. Um die nationale Sicherheit zu gewährleisten, greift der Staat stärker in die Wirtschaft ein. Die Rückverlagerung („Reshoring“) von Lieferketten in strategisch wichtigen Bereichen ist eine zentrale Maßnahme – durch die CoronaPandemie sowie durch die Eskalation in Osteuropa hat der Trend global an Bedeutung gewonnen. Damit verbunden ist eine höhere Resilienz, aber auch höhere Redundanzen und geringere Effizienz, was preistreibend wirken kann.
2. Fiskalpolitik
Die Fiskalpolitik nimmt wieder eine größere Rolle als in vergangenen Dekaden ein – die gesamtwirtschaftliche Nachfrage soll dabei mehr mit öffentlichen Aufträgen über den Zyklus hinweg angekurbelt werden, was preistreibend wirkt.
3. Geldpolitik
Die Notenbanken – vor allem die US-Notenbank Federal Reserve – sind gewillt, länger Teuerungsraten über dem Inflationsziel zu tolerieren. Auch hat der amerikanische Arbeitsmarkt einen höheren Stellenwert im geldpolitischen Mandat der Fed bekommen. Dies dürfte tendenziell zu mehr Preisdruck führen.
4. Grüne Transformation der Wirtschaft und Wunsch nach Energiesicherheit
Die grüne Transformation der Wirtschaft und der Wunsch nach Energiesicherheit werden durch den Ukrainekrieg und damit verbundene Sanktionen gegen Russland verstärkt. Damit steigt die Nachfrage nach Rohstoffen für Infrastrukturinvestitionen sowie nach neuen oder knappen Rohstoffen.
5. Demografie
Der steigende Anteil von Personen im Rentenalter gegenüber Personen im erwerbsfähigen Alter könnte zu einer steigenden Nachfrage nach arbeitsintensiven Dienstleistungen und damit steigenden Löhnen und Preisen führen.
Höhere Inflation mit weitreichenden Folgen
Eine höhere Inflation hat wichtige Implikationen für Assetklassen und gemischte Portfolios. Unsere historischen Analysen zeigen, dass sich sowohl Ertrag (Wertentwicklung) als auch Risiko (Volatilität, also Schwankungsintensität) als auch die Korrelation der Assetklassen (Diversifikation) zuungunsten des Portfolios verändern. Beim Übergang in ein neues Inflationsregime erleiden Anleihen Kursverluste (in Abhängigkeit von der Zinsbindungsdauer bzw. Duration) durch die ansteigende Inflation und die Zinserhöhungen der Notenbanken. Erst später federn dann höhere Kupons zunehmend gegen Kursverluste ab.
Was die Anlageklasse Aktien betrifft, zeigt diese historisch die beste Wertentwicklung bei Inflationsraten zwischen einem und drei Prozent. Im Rückblick zeigt sich aber auch: Wenn die Teuerung über diese Bandbreite hinaus weiter gestiegen war, übten die durch die Notenbank initiierten Zinserhöhungen über die Bewertungsseite Druck auf die Aktien aus. Folglich war die Wertentwicklung bei hohen Inflationsraten im Durchschnitt auf der Aktienseite weniger positiv.
Ein gemischtes Portfolio mit 60 Prozent Aktien- und 40 Prozent Rentenanteil erzielte in den von hoher Inflation geprägten 1970er-Jahren schwache Erträge, zeigt unsere rückblickende Analyse. Erst ab dem Erreichen der höchsten Inflation (Peak Inflation) ab Anfang der 1980er-Jahre wies das 60/40-Portfolio eine starke Wertentwicklung auf. Bei moderaten Inflationsraten ließen sich damals besonders gute Erträge erzielen – denn ein Umfeld sinkender Teuerungsraten und Leitzinsen führte zu Kursgewinnen bei Rententiteln und zu gleichzeitig steigenden Aktienkursen. Bei hoher Inflation fielen die Erträge eines 60/40-Portfolios dagegen schwächer aus – bei Inflationsraten über fünf Prozent oder unter einem Prozent waren sie sogar negativ. Auch das Risiko (Volatilität) stieg im gemischten Portfolio historisch mit einer höheren Inflation. Grund war zum einen eine höhere Volatilität der Assetklassen Aktien und Renten selbst. Zum anderen verändern sich die Wechselbeziehungen zwischen Aktien und Renten. Die Korrelation von Aktienkursen und Rentenkursen nimmt, so zeigt die Analyse, bei höherer Inflation zu. Die günstigen risikosenkenden Diversifikationseffekte im Portfolio nehmen dagegen ab.
Asset Allocation: hohe Diversifikation von Aktien und Renten seit Ende der 1990er-Jahre – auch in Deutschland
2-Jahres-Korrelation Aktien vs. Staatsanleihen
US-Inflation, jährliche Veränderungsrate in Prozent
Als Fazit lässt sich festhalten, dass gemischte Portfolios in einem Umfeld von höherer Inflation ein weniger günstiges Ertrags-Risiko-Profil aufweisen. Sowohl über den Ertragswie über den Risikokanal (Volatilität) kommt es damit zur Verschlechterung der Überrendite gegenüber dem risikofreien Zinssatz im Verhältnis zur Volatilität (Sharpe Ratio). Der Ertrag fällt also niedriger aus und gleichzeitig nimmt die Volatilität zu. Das Fazit lautet damit: Die Portfolios sind weniger robust.
Breitere Streuung erforderlich
Nun befinden wir uns in einem Kapitalmarktumfeld, in dem der Diversifikationseffekt eines Aktien-Renten-Mischportfolios abnimmt und weniger nominale und deutlich weniger reale Erträge realistisch sind. Es ist von einer sich verschlechternden Sharpe Ratio auszugehen. Damit ein Multi-Asset-Portfolio auf den zu erwartenden Balanceakt an den Kapitalmärkten besser eingestellt werden kann, empfiehlt es sich daher, weitere Assetklassen in Betracht zu ziehen, die von einer erhöhten Teuerung profitieren oder deren Preisanstieg selbst eine Inflationsursache ist. Dabei sollten die Assetklassen untereinander eine möglichst geringe Wechselbeziehung zeigen. Zudem kann eine Anpassung innerhalb der Assetklassen Aktien und Renten eine Lösung sein.
Bei der Hinzunahme weiterer Assetklassen in ein Multi-Asset-Portfolio bieten sich Immobilien, aber auch Rohstoffe an. Bei einer steigenden Inflationsrate fällt erfahrungsgemäß die Korrelation von Aktien und Rohstoffen. Daher dürften in einem Multi-Asset-Portfolio bei höheren Teuerungsraten Rohstoffe den Diversifikationsverlust bei Aktien und Renten bis zu einem gewissen Grad abfedern helfen. Sie leisten also einen wichtigen Beitrag zur Diversifikation.
Anpassungen auch innerhalb der einzelnen Anlageklassen
Auch innerhalb der einzelnen Anlageklassen ist es sinnvoll, die Struktur des Portfolios auf das neue Inflationsregime auszurichten. Es empfiehlt sich, einen Teil des Aktienkerninvestments etwa in Infrastruktur- oder Immobilienaktien (Real Estate Investment Trusts, REITs) zu allokieren. Infrastrukturaktien partizipieren am grünen und digitalen Strukturwandel, bieten Inflationsschutz, sind liquide und transparent. Auch eine stärkere Ausrichtung der Aktienanlage auf Value-Aktien – also substanzstarke, aber weniger wachstumsstarke Titel – hat sich in einem solchen Kapitalmarktumfeld als vorteilhaft erwiesen. Im Rentenbereich empfiehlt es sich darüber hinaus, einen gewissen Teil der klassischen Staatsanleihen durch inflationsindexierte Anleihen zu ersetzen. Letztere bieten vor allem einen Schutz bei einem Überschießen der Inflation.
Umdenken bei Depot-A-Spezialfonds
Die Krise und die Geldpolitik fordern institutionelle Investoren. Vor diesem Hintergrund gewinnt die breitere Aufstellung der Anlagen im Depot A noch weiter an Bedeutung. Mit breiterer Diversifikation und individuellen Spezialmandaten lassen sich Erträge stabilisieren und langfristig sichern. Wie aber lässt sich dies konkret umsetzen?

Es gilt, die Portfolios einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und bei der Neuausrichtung gegebenenfalls über den Tellerrand der bisherigen Anlagestrategie hinauszublicken. Im Rentenbereich können Verbriefungen etwa als probates Mittel und mögliche Quellen für Mehrertrag herangezogen werden. Darüber hinaus dürfte die gezielte Beimischung von Spread-Produkten auch im Umfeld steigender Zinsen und sinkender Kurse in Kernmärkten die Aussicht auf angemessene Erträge bieten – dafür ist allerdings eine gewisse Risikotragfähigkeit nötig. Auch bietet es sich an, die zinstragenden Assets überwiegend mit kürzeren Restlaufzeiten und variabler Verzinsung zu gestalten. Und angesichts der deutlich verschärften Lage an den Aktienmärkten sind auch hier mehr denn je eine aktive Titelauswahl und ein hohes Maß an Flexibilität geboten. Auch wenn Immobilien längst den Weg in viele institutionelle Portfolios gefunden haben, stellt ein verstärktes Immobilien-Engagement in einem Umfeld steigender Inflation und großer Volatilität an den Märkten einen nicht zu unterschätzenden stabilisierenden Faktor dar. Zwar wurden durch den Ausbruch der Corona-Pandemie die Arbeits- und die Lebenswelt und damit auch die Anforderungen an Immobilien erheblichen Veränderungen unterworfen. Dennoch können diese bei einer gezielten Auswahl auch unter den neuen Rahmenbedingungen langfristig auskömmliche Renditen bieten.
Im August 2020 empfahlen wir angesichts der Coronakrise ein Depot-A-Musterportfolio, das eine Immobilienquote von 14 Prozent aufwies. Diese Quote haben wir in der aktuellen Empfehlung deutlich um sechs Prozent auf 20 Prozent ausgebaut. Gerade institutionelle Investoren müssen dabei aber nicht auf Standardlösungen setzen. Hier bieten sich vielfältige Möglichkeiten im Rahmen von auf die individuellen Anlagebedürfnisse angepassten Immobilienspezialfonds oder beispielsweise von Investments gemeinsam mit weiteren Investoren im Form von Club Deals an.
Auch alternative Assetklassen wie Private-Equity- und Infrastrukturinvestitionen bieten zusätzliche Möglichkeiten im aktuellen Umfeld. In der Regel investieren die Private-Equity Manager die erhaltenen Kapitalzusagen nicht innerhalb kurzer Zeit, sondern strecken ihre Zielanlagen über verschiedene Anlagezyklen, Regionen und Branchen, was zu einer zusätzlichen Diversifikation innerhalb der Anlageklasse führt. Zudem wird der erhöhte Finanzierungsbedarf aus staatlichen Konjunkturprogrammen eine noch stärkere private Finanzierung von Infrastruktur-Assets erfordern. Mit diesen spezifischen Attributen können Private-Equity- und Infrastrukturinvestments daher zu wichtigen Ertragsbausteinen in einer langfristigen, diversifizierten Depot-A-Anlagestrategie werden. Darüber hinaus können Real-Estate-Debt-Fonds mit ihrer geringen Korrelation zu klassischen Investments dazu beitragen, die Diversifikation weiter zu erhöhen sowie attraktive und stetige Erträge zu generieren.
Eine breit diversifizierte Strategie unter Integration vieler verschiedener Assetklassen und Substrategien mit zinsunabhängigen Anlagen in Aktien und alternativen Anlagen hilft, herausfordernden Marktphasen und Krisen, wie wir sie derzeit erleben, mit einem ausgewogenen Risikomix zu begegnen.
Ein an die Coronakrise moderat angepasstes Portfolio
Asset Allocation in einem Depot-A-Musterportfolio
Asset Allocation im Jahr 2022
Immobilien +6 % auf 20 %
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
2. Mai 2022, soweit nicht anders angegeben.