Beuys und die Nachhaltigkeit

Aus monumentaler Kunstaktion lassen sich Lehren für das Assetmanagement ziehen – Beim Klimawandel alle mitnehmen, die sich auf den Weg begeben wollen

Die Welt steht vor einer gigantischen Herausforderung: Um die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen, bedarf es eines grundlegenden Wandels der globalen Wirtschaft. Der Finanzbranche kommt dabei eine Sonderrolle zu, da sie die Mittel verwaltet und kanalisiert, um diesen Wandel so effektiv wie möglich Wirklichkeit werden zu lassen. Um das zu gewährleisten, ist strategisches Denken erforderlich, eine enge Zusammenarbeit und eine gehörige Portion Beharrlichkeit. Dazu gehören noch eine solide Datenbasis, fundierte Fachkenntnis und idealerweise Enthusiasmus für das, was man tut. Sicherlich fällt es auf den ersten Blick schwer, die Gemeinsamkeiten zwischen dem Werk von Joseph Beuys und dem Erstellen eines Transformationsratings zu erkennen. Doch auf den zweiten Blick wird dies schnell klar.

Joseph Beuys (1921-1986) hat als Zeichner, Bildhauer, Lehrer, Politiker, Aktivist, Aktions- und Installationskünstler die Kunst des 20. Jahrhundert grundlegend geprägt. (Michael Ward/Getty Images)

Die Grenzen ausgelotet

Joseph Beuys, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, galt lange Zeit als komischer Kauz, als exzentrischer Selbstdarsteller. Dabei werden seine Leistungen nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Stadtgestaltung geflissentlich unterschätzt, wenn nicht übersehen – Beispiel ,,Stadtverwaldung‘‘ statt ,,Stadtverwaltung‘‘. Zur Documenta des Jahres 1982 ließ Beuys 7.000 Eichen im Kasseler Stadtgebiet pflanzen. Damit hat er zum einen das Erscheinungsbild der Stadt nachhaltig verändert. Er hat aber auch die Grenzen dessen ausgelotet, was machbar ist.

Als Beuys im Vorfeld der Kunstaktion beim Kasseler Gartenbauamt anfragte, wie viele Bäume denn im Stadtgebiet noch gepflanzt werden könnten, sagten die Beamten: ,,50‘‘. Fünf Jahre später, zum Abschluss des Projekts und kurz nach dem Tod des Künstlers, wurde der 7.000. und damit letzte Baum gepflanzt. Beteiligt hatten sich über die Jahre diverse Künstler und Prominente, aber auch Bürger, die für 500 D-Mark einen Baum pflanzen konnten. Die Aktion nahm immer wieder Fahrt auf, fuhr sich aber gelegentlich auch fest, bevor zum Abschluss im Juni 1987 Wenzel Beuys, Sohn des Künstlers, den letzten Baum neben die erste, fünf Jahre zuvor gepflanzte Eiche setzte.

Für das Gelingen des Projekts waren mehrere Faktoren entscheidend: eine Vision, eine Strategie und ein langer Atem, gepaart mit Pragmatismus und Flexibilität. Die Aktion war teuer und alles andere als durchfinanziert. Als im Laufe der Jahre wieder einmal das Geld ausging, flog Joseph Beuys nach Japan, um eine Whiskey-Werbung zu drehen. Das Salär von 400.000 D-Mark floss in das Kasseler Projekt.

Große Ziele sind zu erreichen

Aus der monumentalen Kunstaktion lassen sich einige Lehren für das nachhaltige Assetmanagement ziehen. Große Ziele sind erreichbar, allerdings nur durch gute Planung und konsequent beharrliche Ausführung. Deswegen beginnt auch die Transformation für einen nachhaltigen Investor mit dem ersten Schritt, konkret: mit der Analyse, welche Daten und Informationen nötig sind, um die Transformationschancen eines Konzerns überhaupt erst beurteilen zu können. Schließlich lässt sich das Problem nicht damit lösen, dass Investoren ihre Mittel jetzt auf die bereits nachhaltigen Konzerne konzentrieren. Vielmehr muss es darum gehen, Unternehmen zu identifizieren, die noch nicht nachhaltig sind, es aber werden wollen. Doch hier gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Behauptung ist das eine, der Beleg aber oft etwas völlig anderes. Daher benötigen wir eine Strategie. Wie gehen wir vor?

Für unsere Transformationsratings analysieren wir Unternehmen. Der Ansatz hat im Kern drei Dimensionen:

  • ESG-Strategie – Ist sie überzeugend und ambitioniert? Setzt sich das Unternehmen langfristige Ziele sowie Zwischenziele?

  • ESG-Investitionen – Wird entsprechend der Strategie systematisch in die Transformation des Geschäftsmodells im Sinne der Nachhaltigkeit investiert?

  • ESG-Governance – Lassen Unternehmensführung und -kultur erwarten, dass an der Nachhaltigkeitsstrategie langfristig festgehalten wird? Stellt eine wohlausgestaltete Corporate Governance die Transformation des Geschäftsmodells sicher?

 All das eröffnet natürlich viel Raum für Interpretation. Denn rein theoretisch kann jedes Unternehmen mit einem aktuell eher schlechten oder mäßigen Nachhaltigkeitsstatus zum Transformationskandidaten werden. Faktisch scheiden jedoch einige Unternehmen aus, die ein unter bestimmten Nachhaltigkeitsgesichtspunkten besonders problematisches, auf ein negativ eingeschätztes Kernprodukt fokussiertes Geschäftsmodell haben, das sie für einen passablen ESG-Status (ESG steht für Environment, Social, Governance) ausschließt.

Um dem analytisch Rechnung zu tragen, muss in der Tat ein dickes Brett gebohrt werden: Zwar müssen dafür keine 7.000 Eichen gepflanzt, aber viele Unternehmen unter die Lupe genommen werden. Und so wie man nicht Birnen mit Äpfeln vergleicht, sollten auch beispielsweise Energieversorger nicht mit Softwareherstellern verglichen werden. Das bedeutet: Um aussagekräftige Vergleiche treffen zu können, benötigt man auch Kategorien pro Sektor. Diese sind in der Regel qualitativer Natur, können aber durchaus auch quantitativer Natur sein, etwa bei Ausgaben für grüne Investitionen. Am Ende stehen im Schnitt sechs verschiedene Indikatoren pro Sektor, anhand derer in den vergangenen 18 Monaten rund 250 Kandidaten identifiziert wurden, die gute bis sehr gute Chancen auf eine erfolgreiche Transformation haben.

Die Auswahl dieser Unternehmen geht ohne Zweifel mit hohen Kosten und viel Mühe einher. Wie bei der Stadtverwaldung braucht es den strategischen Weitblick, ein motiviertes Team und viel Beharrlichkeit. Doch auch diese Aktion sollte sich gleichwohl lohnen:  Aufgrund der regulatorischen Initiativen sind wirklich nachhaltige Unternehmen als Investitionsziele derzeit absolut gefragt. Sie werden an den Kapitalmärkten mit einer Prämie gehandelt, sind also recht teuer. Wer als Investor frühzeitig Adressen identifiziert, die noch nicht grün sind, es aber werden wollen, der kann heute mit einem Abschlag investieren, hat also höhere Ertragschancen.

Das ist gut für die Anleger, aber nicht nur für sie: Denn wir werden der größten Herausforderung unserer Zeit, dem Klimawandel, nicht erfolgreich begegnen können, wenn wir nur in die nachhaltigsten, die grünsten und die saubersten Unternehmen investieren. Vielmehr gilt es, alle mitzunehmen, die sich auf den Weg begeben wollen und können. Der Hebel für die Einsparung von Treibhausgasemissionen ist schlicht viel größer, wenn man einen braunen Konzern zum grünen umstrukturiert, als wenn man seine Mittel nur auf die grünsten konzentriert.

Das hätte sicherlich auch Joseph Beuys eingeleuchtet. Schließlich hat er für seine 7.000 Eichen das Stadtgebiet ausgewählt – und nicht den Wald.

 

 

Henrik Pontzen,
Leiter ESG bei Union Investment

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