Dürrenmatt und die Nachhaltigkeit
Unternehmen auf dem Weg der Transformation zu begleiten, erfordert Mut – Wer sich akribisch vorbereitet, hat gute Chancen auf eine ordentliche Entlohnung
,,Weder links noch rechts, allenfalls quer.‘‘ Der vor 100 Jahren geborene Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt beschrieb so seine Haltung zum bestimmenden Thema seiner Zeit, dem Systemkonflikt zwischen Ost und West. Das bestimmende Thema unserer Zeit ist das Ringen um eine nachhaltige Zukunft. Dieses Thema betrifft alle Himmelsrichtungen: nicht nur Ost und West, sondern die ganze Welt.
Systemkonflikt und Nachhaltigkeit teilen sich das Ringen um extreme Alternativen. Revolution oder Evolution? Je größer der Missstand, umso größer der Wunsch zur Revolution. Je mehr man vermeintlich besitzt, umso größer ist die Angst vor Revolution und der Wunsch nach sanfter Evolution.

Spreu vom Weizen trennen
Die Frage nach Evolution oder Revolution ist heute so falsch wie damals die Frage nach rechts oder links. Dürrenmatt würde antworten: Weder noch! Was er quer nannte, ist in Sachen Nachhaltigkeit das Programm der Transformation.
Transformation unterscheidet nicht in binären Codes, zum Beispiel zwischen guten und bösen Konzernen. Transformation ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Für den Erfolg der Nachhaltigkeit entscheidend sind nicht die Adressen, die bereits grün sind. Weder der Umwelt noch den Anlegern ist damit viel geholfen, wenn ein erstklassiges, nachhaltiges Unternehmen noch das letzte Promille an Potenzial ausschöpft. Vielmehr geht es ebenso darum, Konzerne zu begleiten, die noch nicht nachhaltig sind, es aber werden wollen. Hier findet man einen enormen Hebel, sowohl bei der Einsparung von Treibhausgasen als auch bei der Wertentwicklung an der Börse.
Die zentrale Herausforderung für Assetmanager ist es, auch hier die Spreu vom Weizen zu trennen. Papier ist geduldig, und viele Konzerne bekunden lautstark ihre Bereitschaft zum Wandel, ohne dass den Worten Taten folgen. Deshalb ist es essenziell, die Transformation und die Erfolge systematisch und branchenintern zu vergleichen. Zwei Themenkomplexe müssen dafür bei der Analyse von Unternehmen – teilweise auch unterstützt durch den direkten Dialog mit den Firmen (,,Engagement‘‘) – grundsätzlich untersucht und beantwortet werden.
Blick auf die Dimensionen
Relativ simpel sind dabei die Dimensionen, die es zu unterscheiden gilt. Um ein braunes Unternehmen grüner zu machen, braucht es einen Plan, es braucht die Mittel und es braucht ein Führungsteam, das den Plan umsetzen kann und will. Doch diese Dimensionen erkannt zu haben ist das eine: Sie zu analysieren und vergleichen zu können ist komplexer, für einen aktiven Assetmanager aber nichtsdestotrotz unerlässlich.
Dafür sind in erster Linie einheitliche Kriterien nötig. Es werden folgende Themen und Fragestellungen untersucht:
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Beurteilung des Produktportfolios – Werden kritische Produkte und Substanzen sukzessive durch neue, margenstarke und nachhaltigere Alternativen ersetzt? Ein Beispiel: Welche Rolle spielt bei traditionellen Plastikproduzenten die Umsatzentwicklung neuartiger, biobasierter Plastikvarianten?
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Beurteilung der Produktionsprozesse – Lassen sich durch neuartige Herstellungsverfahren zum Beispiel CO2-Emissionen senken und dadurch zudem Kosten sparen? Auch ,,Circular Economy‘‘- Prinzipien werden analysiert, die sich zukünftig ebenfalls positiv auf der Kostenseite bemerkbar machen und helfen, Ressourcen zu schonen.
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Beurteilung der Transparenz beim Thema Nachhaltigkeit – Wie bereitwillig und verlässlich liefert ein Unternehmen Informationen zu ESG-Themenkomplexen (ESG steht für Environment, Social, Governance), und wie gut ist es auf zukünftige Anforderungen vorbereitet (zum Beispiel auf die Berichterstattung zur EU-Taxonomie)? Die Bereitstellung eines umfänglichen Nachhaltigkeitsberichts ist dafür eine wichtige Voraussetzung.
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Beurteilung der Investitionen in nachhaltige Forschung, Produkte und Unternehmen – Lassen sich durch die getätigten Investitionen und Kooperationen vielversprechende Wachstumsfelder erschließen und Wettbewerbsvorteile erzielen?
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Beurteilung der Nachhaltigkeits-Governance – Sind das Management und der Aufsichtsrat des Unternehmens kompetent und adäquat incentiviert, nachhaltige Konzepte und Transformation umzusetzen?
Wenn die Nachhaltigkeitsanalysten auf diese Fragen klare und belastbare Antworten haben, dann lassen sich die Unternehmen, die gute Chancen auf eine erfolgreiche Transformation haben, identifizieren. Die Beantwortung der Fragen ersetzt keine fundamentale Analyse, wie sie aus dem herkömmlichen Assetmanagement bekannt ist. Die Kombination mit dem ESG-Research ermöglicht es aber, ein umfassendes Bild darüber zu gewinnen, wer ein aussichtsreicher Transformationskandidat ist – und wer darüber hinaus auch in Sachen Bilanz und Gewinn- und-Verlust-Rechnung (GuV) punkten kann.
Festzuhalten ist allerdings auch: Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Erfolg hängen zunehmend voneinander ab. Transformationskonzepte haben grundsätzlich auch einen klar messbaren Einfluss auf die fundamentale Unternehmenssituation. Denn: Gelingt es einem Unternehmen, seine zukünftigen Umsätze (durch innovative Produkte) zu steigern (beurteilt durch die Punkte 1 und 4) und/oder die damit verbundenen Kosten und Risiken der Produktion zu senken (Punkte 1 und 2), hat dies einen (direkten) Effekt auf die künftige Gewinnentwicklung. Die nachhaltige Transformation von Geschäftsmodellen wird deshalb aus Investorensicht zu einer zentralen Entscheidungsgröße.
Hinzu kommt: Die Verflechtung der Wirtschaft führt dazu, dass sich die Transformationserfolge der eigenen Branche auch auf andere Bereiche auswirken und eine positive Katalysatorwirkung erzeugen. Der Hersteller besonders grün gefertigter Batterien für elektrische Fahrzeuge hat einen Wettbewerbsvorteil, weil auch die Automobilindustrie nachhaltiger werden muss und daher die Zulieferer genau unter die Lupe nimmt. Das heißt: Der Batterieproduzent profitiert erstens, weil er selbst nachhaltiger wird, und zweitens, weil seine Kunden ebenfalls nachhaltiger werden müssen.
Helfen, sauber zu werden
Gleichzeitig drohen Unternehmen, die weniger gut auf Transformationsprozesse vorbereitet sind, im Wettbewerbsvergleich zurückzufallen: Belastend wirken niedrigere Wachstumsraten, ebenso wie steigende Risiken und Kosten. Gerade in einer hochintegrierten Industrie wie dem Automobilsektor werden es sich die Hersteller kaum leisten können, auf die Produkte ,,dreckiger‘‘ Zulieferer zurückzugreifen. Die Folge: Die Marktanteile verschieben sich von Braun nach Grün.
Die von Union Investment entwickelte Transformationsanalyse ist darauf ausgerichtet, aussichtsreiche Unternehmen von Problemkandidaten zu differenzieren. Sie bietet darüber hinaus viele Ansatzpunkte, mit den Unternehmen in Dialog zu treten und – insbesondere im Interesse von Investoren – auf mehr Nachhaltigkeit hinzuwirken. Dieses Vorgehen ist zunehmend immer weniger zu trennen von der traditionellen, rein betriebswirtschaftlichen Analyse der Unternehmensbewertung. Mit anderen Worten: Nachhaltigkeitsanalyse ist fundamental geworden. Schlussendlich geht es durch diese Research-Raster aber in erster Linie darum, schmutzige Kandidaten früh zu identifizieren und ihnen dabei zu helfen, sauber zu werden. Denn darin steckt neben der Nachhaltigkeits- auch die Aktienstory. Wer heute grün ist, weist an der Börse meist schon eine hohe Bewertung auf. Wer erst unterwegs ist, dessen Aktien haben auch noch Aufholpotenzial.
Kein leichtes Unterfangen
Aus rein nachhaltiger Sicht betrachtet, wäre es natürlich schöner, wenn alle Unternehmen auf einen Schlag grün wären und die Transformation der Wirtschaft abgeschlossen wäre. Immerhin handelt es sich um einen beschwerlichen Weg, und auch Investoren gehen dabei das Risiko ein, dass ausgewählte Kandidaten scheitern. Als Realist muss man aber konstatieren: Die Welt ist kein Wunschkonzert. Transformation ist erst einmal nicht weniger als ein Wegstück, als ein fauler Kompromiss. Hier kommen wir auf Dürrenmatt zurück, denn was er über den Akt des Schreibens sagte, gilt auch für den Wandel und die Transformation. Dabei handele es sich nicht um etwas ,,Gemütliches, sondern [...] etwas, das man ebenso unerschrocken tun muss wie man ja auch überhaupt im Grunde unerschrocken leben muss‘‘.
Wagemut angebracht
Für Investoren braucht es eine Portion Mut, ein Unternehmen auf dem Weg der Transformation zu begleiten. Doch wer sich akribisch auf den Weg vorbereitet, hat sehr gute Chancen, ordentlich dafür entlohnt zu werden.

Henrik Pontzen,
Leiter ESG bei Union Investment