Potz Blitz! Strom wird endlich grün
Transformation Insight: Der Versorgersektor
- Strom aus erneuerbaren Energiequellen gehört die Zukunft
- Reduktion der CO₂-Emissionen im Versorgerbereich führt zu einem Domino-Effekt
- Transformation stark gefördert von öffentlicher Seite
- Proaktive Unternehmen mit langfristigen Chancen
Der Versorgersektor: CO₂-Bilanz mit Anpassungsbedarf
Blackout – so heißt ein Roman aus dem Jahr 2012, in dem Terroristen für 14 Tage das europäische Stromnetz lahmlegen. Abgesehen vom Unterhaltungswert wurde das Buch auch gelobt, weil es die Abhängigkeit der Zivilisation von Energie drastisch veranschaulicht. Unser moderner Lebenswandel ist ohne Strom kaum vorstellbar. Schon im privaten Bereich ist er nahezu unverzichtbar. Dies gilt für die Wirtschaft umso mehr: Denn dort ist Strom einer der wichtigsten Inputfaktoren, ohne ihn würde alles still stehen. Aus diesem Grund kommt dem Versorgerbereich eine strategisch wichtige Rolle als zuverlässiger Energielieferant für die gesamte Volkswirtschaft zu. Außerdem erfüllen Versorger wichtige Aufgaben in den Bereichen Wasser- und Abfallwirtschaft, die in diesem Text aber nicht im Fokus stehen.
Die Stromerzeugung hat aber ein ökologisches Problem: Sie erfolgt in Europa noch immer relativ stark auf Basis fossiler Brennstoffe, wie Abbildung 1 verdeutlicht.
Dadurch entstehen hohe CO₂-Emissionen, die das Klima belasten. Abbildung 2 zeigt dies beispielhaft für Versorger und weitere, besonders CO₂-intensive Sektoren in der EU.
Die grauen Balken lassen erkennen, dass der Versorgersektor im Jahr 2015 noch die höchsten absoluten Treibhausgasemissionen aufwies. Das hat sich bis heute nicht wirklich geändert. Um die regulatorischen Vorgaben im Zusammenhang mit den Pariser Klimazielen einzuhalten und um einen Beitrag für die Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs zu leisten, müssen die Stromversorger ihre Treibhausemissionen also deutlich reduzieren.
Der Sektor steht deshalb vor einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Abbildung 2 illustriert, dass schon das bis vor kurzem geltende Reduktionsziel von 40 Prozent (hellblaue Balken) deutliche CO₂-Anpassungen in den vier Sektoren erforderlich machte. Um allerdings das im April 2021 in der EU beschlossene Treibhausgas-Reduktionsziel von 55 Prozent (dunkelblaue Balken) zu erreichen, muss es bis zum Jahr 2030 logischerweise zu noch stärkeren CO₂-Verringerungen in den verschiedenen Wirtschaftssektoren kommen. Eine wichtige Lösungskomponente: Der noch einmal deutlich verstärkte Ausbau an Stromkapazitäten aus erneuerbaren Energiequellen.
Versorger im Spannungsfeld
Nicht nur in der EU haben die Kapazitäten an Strom aus erneuerbaren Energiequellen („Renewables“) in den vergangenen Jahren bereits deutlich zugenommen. Doch im Detail unterscheiden sich die Muster dieses Trends:
- Bereits in den vergangenen zehn Jahren war China laut einer Studie von Bank of America weltweiter Spitzenreiter im Bereich „Energy Transition“ mit Investitionen in Höhe von 1,2 Billionen US-Dollar. Um das in diesem Jahr verkündete, neue Klimaziel zu erreichen, das eine Klimaneutralität bis zum Jahr 2060 vorsieht, sind weitere, massive Investitionen vor allem im Bereich Renewables zu erwarten. Denn viele chinesische Städte leiden seit Jahren unter einer immer massiveren Luftverschmutzung, ausgelöst durch vielfach ungefilterte Industrieemissionen. Der Klimaschutz hat deshalb für die chinesische Regierung an Bedeutung gewonnen. Im autoritären China besitzt die Umsetzung und Erfüllung staatlicher Vorgaben absolute Priorität. Nach der Verabschiedung solcher Planziele gibt es normalerweise wenig Widerstand gegen die Projekte. China weist deshalb im Kampf gegen den Klimawandel eine hohe Umsetzungsdynamik auf.
- Während der Amtszeit von Präsident Trump stiegen die USA aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Nichtsdestotrotz kam es in dieser Zeit in den USA zu einem deutlichen Anstieg der erneuerbaren Energiekapazitäten. Das wirkt auf den ersten Blick paradox, doch die Erklärung ist einfach: Viele Regionen und Staaten in den USA bieten genug Platz, ausreichend Sonne, Wind und technisches Know-how, um zum Beispiel große Solar- und Windkraftanlagen zu installieren. Diese Projekte erwiesen sich schnell als ökonomisch sinnvoll und rentabel. Kurzum: Renewables können wirtschaftlich erfolgreich sein. Die positiven Erfahrungen liefern einen starken Anreiz, den Anteil erneuerbarer Energie noch weiter auszubauen und dadurch auch den Kampf gegen den Klimawandel zu forcieren – ganz ohne strenge regulatorische Vorgaben.
In vielen Ländern Europas und auch in Deutschland stellt sich die Situation im Versorgerbereich jedoch anders dar. Die Beweggründe für die Transformation und die Umsetzungsstrategien resultieren hier stärker aus einem langfristigen, politischen Entscheidungsprozess und unterscheiden sich im Vergleich mit den USA und China in einigen Punkten.
In Europa wurde der Sinneswandel maßgeblich durch die Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens ausgelöst. Zwar ist es mittlerweile gesellschaftlicher Konsens, dass eine Senkung der CO2-Emissionen notwendig ist. Doch die tatsächliche Umsetzung in den einzelnen EU-Ländern gestaltet sich oftmals noch schwierig und kommt dem Versuch einer „Quadratur des Kreises“ nahe. Denn bei der Erfüllung der Klimazielvorgaben sind vier Nebenbedingungen zu beachten, die ein Spannungsfeld erzeugen und Entscheidungsprozesse in der Energiewirtschaft erschweren. Die beteiligten Interessengruppen und Unternehmen müssen folgende Faktoren berücksichtigen und aufeinander abstimmen, wenn es um Veränderungen im Versorgersektor geht:
- Umweltschutz: Bereits vor dem Pariser Klimaschutzabkommen spielte der Umweltschutzgedanke im Versorgerbereich eine wichtige Rolle. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung zum Ausstieg aus der Atomkraft. Dieser Entschluss ist durch Risiko- und wirtschaftliche Abwägungen, aber auch durch die potenziellen, unkalkulierbaren Umweltschäden im Falle eines Unglücks zu erklären. Unter Umweltschutzgesichtspunkten steht das Ziel zur Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft – und somit auch der Energiewirtschaft – aktuell besonders im Mittelpunkt. Um dies zu erreichen, ist vor allem die Verringerung fossiler Energieträger wie Kohle und Gas bei der Stromerzeugung als Inputfaktor mitentscheidend. Im Gegenzug ist der parallele und kontinuierliche Ausbau regenerativer Energiequellen notwendig.
- Versorgungssicherheit: Die erwähnte, strategische Bedeutung des Sektors setzt voraus, dass zu jeder Zeit des Transformationsprozesses eine technische Versorgungssicherheit gegeben ist. Zwar könnten bereits jetzt ausgewählte Solar- und Windkraftparks Kohle- und Gaskraftwerke ersetzen, eine stabile Stromversorgung ermöglichen und auch unter Kostengesichtspunkten mit diesen konkurrieren. Doch stellt die stärker dezentrale Struktur und regionale Aufteilung von Renewables-Standorten in der Breite gerade das Stromnetz vor neue Herausforderungen. Aus diesem Grund sind – trotz aller Diskussionen – massive Investitionen und ein Ausbau des bestehenden Stromleitungsnetzes notwendig, um einen CO2-ärmeren Strom-Mix zu erreichen. So berichtet die Credit Suisse in einem Report aus diesem Jahr, dass laut der International Energy Agency (IEA) weltweit bis zum Jahr 2030 jährlich rund 440 Milliarden US-Dollar an Investitionen für den Netzausbau nötig sein könnten. Neben dem Netzausbau sind jedoch noch weitere Investitionen in eine nachhaltige Infrastruktur erforderlich, um die zukünftige Versorgungssicherheit zu garantieren. Dies sind zum Beispiel Technologien im Bereich grüner Wasserstoff1 und Batterien, die als Pufferlösungen während einer „Dunkelflaute“2 dienen.
- Preisstabilität: Da Strom sowohl im privaten Bereich als auch im wirtschaftlichen Umfeld eine immense Bedeutung besitzt und in großer Menge benötigt wird, spielt Preisstabilität für die gesamte Volkswirtschaft eine große Rolle. Die notwendigen, massiven Anfangsinvestitionen zur Transformation der Energiewirtschaft könnten sich in einem höheren Strompreisniveau niederschlagen. Im privaten Bereich würde eine (zu starke) Strompreiserhöhung – ausgelöst durch den Wechsel zu (noch teureren) CO2-armen Energiequellen – Kaufkraft entziehen und dadurch die Akzeptanz in der Bevölkerung für den Wandel gefährden. Für den Unternehmensbereich ist Strom ein entscheidender, betriebswirtschaftlicher Kostenblock, vor allem im produzierenden Gewerbe. Zusätzliche Preisanstiege führen hier unter sonst gleichen Bedingungen („ceteris paribus“) zu sinkenden Margen und Gewinnen. Der Unternehmenssektor würde in diesem Fall zudem im internationalen Vergleich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Neben den notwendigen privaten Investitionen im Bereich erneuerbarer Energie sind, auch aufgrund der Höhe der erforderlichen Ausgaben, neben verlässlichen Rahmenbedingungen Anschubfinanzierungen von öffentlicher Seite eine Möglichkeit, um diese Effekte abzumildern.
- Staatlicher Einfluss: Wenige Wirtschaftsbereiche sind derart stark reguliert und von politischen Entscheidungen abhängig wie der Versorgersektor. Standortsicherung und -förderung sind wichtige Kriterien, die das Handeln öffentlicher Entscheidungsträger bestimmen. Bei Politikern steht bei ihren Entscheidungen vor allem die Sicherung von Arbeitsplätzen, aber auch die Stärkung technologischer Kompetenzen im Inland im Vordergrund. Für Unternehmen wiederum sind langfristige Planungs- und Rechtssicherheit und möglichst zügige Genehmigungsverfahren von übergeordneter Bedeutung. Diese stellen die Voraussetzungen für hohe Investitionen der Unternehmen dar. Gerade in Umbruchphasen kann es deshalb in diesem Bereich zu Zielkonflikten kommen, da kein kongruentes Vorgehen der genannten Protagonisten besteht.
Das skizzierte Spannungsfeld kann tendenziell umfassende Transformationsprozesse bremsen. Zu komplex sind die vielfältigen technischen Interdependenzen, zu hoch die potenziellen Investitionen und zu starr der politische und regulatorische Rahmen auf nationaler Ebene. Das Pariser Klimaabkommen hat dies positiv beeinflusst: Das Ziel der Dekarbonisierung ist nun mitunter der primus inter pares der dargestellten vier Faktoren und gibt die Richtung für nachgelagerte Entscheidungen vor. Auch in Politik und Gesellschaft ist der grundsätzliche Wille zur Veränderung immer stärker akzeptiert und verankert, trotz aller Diskussionen über die sinnvollste Umsetzung auf Einzelprojektebene. Hinzu kommt, dass nun auch mehr staatliche Mittel zur Anschubfinanzierung vorhanden sind. Die massiven Ausgabenprogramme, wie zum Beispiel der European Green Deal, aber auch Teile der Corona-Hilfspakete, unterstützen grundsätzlich den Wandel und den Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur – auch in der Energiewirtschaft. In diesem Zusammenhang sind die Finanzierung von Forschungsprojekten und die zügige Umsetzung innovativer Lösungen von besonderer Bedeutung. Gelingt es der Politik darüber hinaus verlässliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten, die auch langfristige, privatwirtschaftliche Investitionen anregen, könnte sich das Spannungsfeld im Versorgerbereich auflösen und in positive Transformationsenergie umwandeln. Die Chancen auf einen langfristig erfolgreichen Wandel im Versorgerbereich steigen.
Transformation der Energiewirtschaft mit Domino-Effekt
Die angestrebte CO₂-Reduktion aus der Transformation des Versorgerbereichs ist für sich betrachtet schon ein gutes Signal im Kampf gegen den globalen Temperaturanstieg. Doch wie bereits erläutert ergeben sich aufgrund der engen Verbindung zu anderen Wirtschaftsbereichen eine Vielzahl an weiteren, positiven Folgeeffekten3. Eine Auswahl:
- Für die geplante Produktion von Hochvoltbatterien in Europa und Deutschland ist die Verfügbarkeit von grünem Strom eine essenzielle Voraussetzung, damit das eigentliche Endprodukt – das Elektroauto – ebenfalls eine niedrigere CO₂-Bilanz aufweist und als nachhaltig gelten kann. Auch für das Laden der Batterien ist eine ausreichende Menge an nachhaltigem Strom und eine umfangreiche Netzinfrastruktur notwendig. Die Transformation hin zu einer nachhaltigen Stromerzeugung und Netzinfrastruktur sind also Voraussetzungen für die grüne Mobilitätswende.4
- Die Herstellung von tatsächlich nachhaltigem (grünem) Wasserstoff, der als Energiespeicher, aber auch in einer Vielzahl von industriellen Produktionsprozessen (unter anderem bei der Stahlerzeugung) zukünftig vermehrt zum Einsatz kommen soll, gelingt nur mit Strom aus regenerativen Energiequellen.
- Nachhaltig erzeugter Strom trägt dazu bei, die Klimabilanz bislang besonders CO₂-intensiver Branchen wie zum Beispiel im Chemie-, Industrie- und Baubereich zu verbessern, auch wenn dadurch keine komplette Dekarbonisierung in diesen Sektoren zu erzielen ist. Abbildung 2 machte bereits deutlich, dass grüner Strom auch für große Teile des verarbeitenden Gewerbes eine dringend notwendige Voraussetzung zur Verbesserung der CO₂-Bilanz darstellt.
Bewertung der Anpassungsfähigkeit mittels KPIs
In dieser schwierigen Gemengelage ist die genaue und kontinuierliche Analyse der Unternehmen, des Branchenumfeldes, technologischer Innovationen und politischer Entscheidungen unerlässlich. Für Union Investment sind vor allem die folgenden Indikatoren (Key Performance Indicators, kurz: KPIs) bei der Beurteilung einzelner Unternehmen entscheidend, die für eine erfolgreiche Zukunft – auch am Kapitalmarkt – ausschlaggebend sind:
- KPI 1: Die Bewertung der Strategie, wie zukünftig CO₂-Emissionen abgesenkt werden sollen, ist in der Analyse von besonderer Bedeutung. Dabei wird nicht nur die tatsächliche Reduktion von fossilen Brennstoffen als Inputfaktor kontinuierlich überprüft, sondern gleichzeitig auch die zuverlässige Versorgung mit Strom und ein möglichst stabiles Preisniveau beurteilt. Positiver Nebeneffekt: Ein erfolgreicher Wandel der CO₂-Strategie hilft nicht nur Emissionen zu senken, sondern kann auch Kontroversen und kritische, öffentliche Diskussionen vermeiden helfen, die im Zusammenhang mit dem Einsatz von fossilen Brennstoffen entstehen. Ein Beispiel für einen radikalen und erfolgreichen Strategiewandel ist das dänische Unternehmen Orsted, dass sich von einem klassischen Versorger mit starken Kohleaktivitäten zu einem der weltweit führenden Windparkanbieter gewandelt hat.
- KPI 2: Die getätigten Investitionen in nachhaltige Stromerzeugung werden untersucht, aber auch die Ausgaben für die dafür notwendigen Stromnetze und Infrastrukturmaßnahmen. Besonderheit: Ergänzend wird analysiert, ob diese Investitionen auch positive Effekte auf die „Sustainable Development Goals“ (SDG) der Vereinten Nationen haben. Die SDG fordern unter anderem, dass Infrastrukturmaßnahmen – in diesem Falle im Bereich Energie – eine Verbesserung der Lebensumstände für die Menschen eines Landes zum Ziel haben und zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen. Der portugiesische Stromversorger EdP zeichnet sich gemäß den KPI 2-Kriterien besonders aus, da seine Ausgabenschwerpunkte schon jetzt in den Bereichen erneuerbare Energie, Stromnetze und Speicherlösungen liegen.
- KPI 3: Eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Governance ist ebenfalls ein wichtiges Beurteilungskriterium. Dabei spielt die ESG-Incentivierung des Vorstandes ebenso eine Rolle, wie auch die Bereitschaft des Unternehmens zu einer transparenten Berichterstattung und dazu, an Engagement-Prozessen mit Investoren aktiv teilzunehmen. Unternehmen wie RWE haben gerade in letzter Zeit durch eine verbesserte Governance-Policy bewiesen, dass sie es mit ihren Transformationsbemühungen und langfristig niedrigeren CO₂-Emissionszielen ernst meinen.
Nur wer sich wandelt, kann gewinnen
Bereits in den beiden Analysen zu Transformationsprozessen in den Sektoren Chemie und Automobile5 wurde deutlich, dass Umbruchphasen Unternehmen und Investoren langfristig große Chancen bieten. Allerdings bestehen auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft auch Risiken. Investoren müssen deshalb im Zusammenhang mit dem Versorgerbereich besonders folgende Punkte bei ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen:
- Grundsätzlich sind das Verharren in bestehenden Strukturen und das Festhalten an veralteten Technologien die größten Risiken für Unternehmen und Investoren. Vor allem die unveränderte Verwendung fossiler Brennstoffe und eine zu wenig ambitionierte CO₂-Senkungsstrategie stellen mittel- bis langfristig eine Gefahr für solche Unternehmen dar. So steigen die Kosten für die betroffenen Unternehmen durch eine immer stärkere CO₂-Bepreisung teilweise deutlich an. Auch die sich abzeichnende Abkehr der Investoren von Unternehmen ohne nachhaltige Zukunftsausrichtung stellt ein Kapitalmarktrisiko dar. Die Gefahr durch Inaktivität zurückzubleiben wird auch durch Abbildung 3 angedeutet. Die Wechselbereitschaft von Bürgern in Europa hin zu grünen Stromanbietern ist hoch. Versorger, die diese Nachfrage nicht bedienen können, fallen gegenüber der Konkurrenz zurück.
- Für alle Unternehmen der Versorgerbranche stellen möglichst stabile regulatorische Vorgaben und nationale Gesetze wichtige Grundvoraussetzungen für ihren operativen Betrieb dar. Denn eine Besonderheit des Versorgersektors ist die generelle Langlebigkeit der Anlagen und die Höhe der dafür notwendigen Erstinvestitionen. Überraschende Änderungen – wie zum Beispiel die bereits erwähnte Entscheidung Deutschlands aus der Atomkraft auszusteigen – stellen deshalb grundsätzlich ein überdurchschnittliches Risiko für Versorgerunternehmen dar. Die individuelle Bereitschaft und Flexibilität, relativ schnell auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren, ermöglicht es ausgewählten Unternehmen sich im Branchenvergleich positiv zu differenzieren. Unternehmen wie die französische EdF jedoch, die ein vergleichsweise geringes Transformationstempo aufweist, laufen Gefahr, in der Anlegergunst nachhaltiger Investoren zurück zu fallen.
- Grundsätzlich waren Versorgermärkte in der Vergangenheit durch eher geringeren Konkurrenzdruck gekennzeichnet. Lokale Anbieter und Produzenten dominierten. Doch durch die immer größere Bedeutung von Anlagen zur Erzeugung grünen Stroms hat sich die Situation gewandelt und es sind neue Abhängigkeiten entstanden. Versorger müssen nun wesentlich stärker auf technologischen Wandel achten, zum Beispiel beim Bau möglichst effizienter Windkraftanlagen. Sie müssen auch die dominante Stellung einzelner Anbieter und Länder einkalkulieren, wie zum Beispiel von Unternehmen aus China bei Solarmodulen. Es wird klar: Der begonnene Transformationsprozess führt dazu, dass heimische Anbieter die internationale Konkurrenz und neu etablierte Lieferketten stärker als in der Vergangenheit berücksichtigen müssen.
Doch trotz existierender Risiken: Der unausweichliche Wandel in der Energiewirtschaft bietet ausgewählten Unternehmen und Investoren aus mehreren Gründen langfristig Chancen. Einige Beispiele:
- Im Vergleich zu früheren Umbruchphasen im Versorgerbereich ist die weltweite Unterstützung deutlich größer und langfristig ausgerichtet. In Europa ist mit dem Green Deal ein rund 1.000 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm geplant, das vielfältige nachhaltige Projekte unterstützen und dazu beitragen soll, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Allein die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energiequellen beläuft sich auf gut 240 Milliarden Euro. Dies ist auch angebracht, da die Verabschiedung des 55 Prozent-Ziels zur Senkung der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 in der EU eine deutliche Ausweitung der Kapazitäten an erneuerbaren Energieanlagen notwendig macht. Abbildung 4 verdeutlicht diese Entwicklung. Nicht nur, aber gerade im Bereich der Stromerzeugung ist laut einer Untersuchung von Bloomberg eine deutliche Ausweitung der Kapazitäten um zusätzlich bis zu 34 Prozent notwendig, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Doch auch in den USA kommt es durch die neue Regierung zu einer verstärkten Dynamik im Renewables-Bereich. Die Biden-Regierung plant massive Ausgaben im Bereich nachhaltige Infrastruktur. So beinhaltet der 2,25 Billionen US-Dollar umfassende „American Jobs Plan“ (AJP) wichtige grüne Fiskalimpulse. Das Ziel: Die USA wollen, ebenfalls bis zum Jahr 2030, ihre Treibhausgasemissionen um bis zu 52 Prozent senken (im Vergleich zum Jahr 2005). Und auch China plant, weiter massiv in nachhaltige Infrastruktur zu investieren. Nach Schätzungen von Goldman Sachs könnten sich diese Investitionen insgesamt auf 16 Billionen US-Dollar bis zum Jahr 2060 belaufen. Zusammengefasst: Die Weichen zur Transformation des Versorgerbereichs sind gestellt und weisen in die richtige Richtung. Das zur Verfügung stehende Geld zur Förderung der nachhaltigen Projekte, aber auch die zeitliche Ausgestaltung machen Hoffnung auf einen langfristigen Erfolg. Vor allem Unternehmen aus der gesamten Wertschöpfungskette im Bereich Windkraft- und Solaranlagen sollten davon profitieren.
- Transformations- und Umbruchsphasen bieten Unternehmen aber nicht nur in einem Marktsegment Chancen. Neben der reinen Erzeugung von grünem Strom ergeben sich zukünftig auch in weiteren Bereichen der Energiewirtschaft Opportunitäten – zum Teil ebenfalls unterstützt durch die genannten Investitionsprogramme. So konzentriert sich zum Beispiel E.ON immer stärker auf den Ausbau und das Betreiben von Stromnetzen und innovativer Infrastruktur. Zudem stehen ergänzende Produkte und Dienstleistungen im Fokus des Unternehmens, die unter anderem für eine grüne Mobilitätsalternative entscheidend sind, aber auch Chancen durch die Digitalisierung nutzen – Stichworte: „Smart Grid“ und „Smart Home“6. Diese Spezialisierung und das Agieren in Nischen wird sich für die führenden Unternehmen in diesen Segmenten ebenfalls langfristig bezahlt machen.
- Die verschiedenen öffentlichen Förderprogramme unterstützen zudem Projekte und Technologien, die gerade in Sektoren mit besonders hohen CO₂-Emissionen dazu beitragen werden, deren bislang nur schwer abzusenkenden Emissionen („hard-to-abate“) zu verringern. Eine Alternative: Das Trennen, Auffangen und die Nutzung und Speicherung von CO₂ (englisch: Carbon Capture Utilization and Storage, kurz CCUS) im Anschluss an eine Vielzahl von industriellen Produktionsprozessen, aber auch bei der Förderung von Öl und Gas. Zwar ist die Technologie umstritten und stellt in den Augen mancher Beobachter nur eine Brückentechnologie dar. Dennoch schätzt die IEA, dass bis zu 2.000 solcher Speicheranlagen bis zum Jahr 2040 gebaut werden könnten – aktuell sind weltweit nur 26 Anlagen in Betrieb. Aus den Zahlen deutet sich an: Auch in diesem Bereich sind Investitionschancen möglich.
- Für Versorgerunternehmen besteht allerdings auch aus einem weiteren Grund ein Anreiz, ihre Stromproduktion CO₂-ärmer zu gestalten. Der im April 2021 auf EU-Ebene verabschiedete Rechtsakt zur Taxonomie7 legt fest, welche Unternehmensaktivitäten und Umsätze als konform gelten und dabei helfen, die Effekte des Klimawandels abzumildern oder diese vorausschauend in der geschäftlichen Aktivität zu berücksichtigen. Gerade Versorgerunternehmen mit einem hohen Anteil an erneuerbarer Energie erfüllen die Anforderungen besonders gut. Der Vorteil für solche Versorger: Asset Manager und institutionelle Investoren sind zunehmend aufgefordert, explizit auszuweisen, wie hoch der Anteil an Taxonomie-konformen Unternehmen in ihrem Portfolio ist. Mit der Folge, dass Geldströme immer stärker in Bereiche und Unternehmen gelenkt werden, die diese Anforderungen erfüllen. Die Taxonomie-Verordnung stellt somit eine erste Möglichkeit dar, die am Kapitalmarkt eine nachhaltige Transformation unterstützen kann. Unternehmen wie die portugiesische EdP, aber auch die spanische Iberdrola sind Beispiele für Unternehmen, die schon jetzt einen hohen Anteil ihrer Umsätze in den Bereichen regenerative Energieerzeugung, Stromspeicherlösungen und Energieeffizienzsysteme generieren.
- Bei den zuvor erwähnten Risiken wurde zwar auch auf eine veränderte, schärfere Konkurrenzsituation hingewiesen. Doch Konkurrenz kann das Geschäft auch beleben und sich positiv auf den Kapitalmarkt auswirken. Denn zum einen sind vermehrte Übernahmen durch Unternehmen aus anderen Sektoren denkbar (zum Beispiel aus dem Öl- und Gasbereich), da sich die Wachstumsaussichten des Versorgersektors vergleichsweise besser darstellen. Zum anderen ist eine erhöhte Konkurrenzsituation auch für das Klima und private Haushalte eine gute Nachricht. Denn sie führt grundsätzlich dazu, dass die Menge an nachhaltig produziertem Strom steigt und sich dadurch Skaleneffekte einstellen, die zu sinkenden, grünen Strompreisen führen.
Fazit und Ausblick
Gelehrte sind bereits seit der Antike an der Quadratur des Kreises gescheitert – wenn nur Lineal und Zirkel als Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Aber: Auch wenn für diese Problemstellung keine 100-prozentige Lösung existiert, so konnten Wissenschaftler doch im Laufe der Jahre zeigen, dass sie der Lösung der Aufgabe durch Näherungskonstruktionen sehr nahe kommen.
Das beschriebene geometrische Problem kann als Metapher für die Herausforderungen im Versorgerbereich im Zusammenhang mit dem begonnen Transformationsprozess dienen. Denn: Die erläuterte, strategische Bedeutung des Versorgersektors erfordert dringend – auch wenn die Ergebnisse zu Beginn des Wandelprozesses nicht immer perfekt sind – pragmatische Lösungskonzepte zur Dekarbonisierung des Sektors. Inaktivität ist aufgrund der nach wie vor zu hohen CO₂-Emissionen keine Option. Politiker und Unternehmen haben die generelle Notwendigkeit, im Kampf gegen den Klimawandel zu handeln, mittlerweile erkannt. Viele politische Entscheidungsträger haben deshalb in den letzten Jahren und Monaten eine Reihe von nachhaltigen Infrastrukturprogrammen beschlossen. Die Folge ist, dass Staaten, große Teile der Industrie und auch der Versorgerbereich immer stärker an einem Strang ziehen und nach gemeinsamen Lösungsmöglichkeiten suchen. Diese konzertierten Aktionen lassen die Chancen auf einen Erfolg der angestoßenen Transformationsprojekte steigen.
Auf Unternehmensseite bedeutet dies, dass vor allem diejenigen, die frühzeitig begonnen haben, auf die immer schärferen regulatorischen CO₂-Vorgaben zu reagieren und nach innovativen Alternativen suchen, im Branchenvergleich einen Vorteil besitzen. Diesen Unternehmen dürfte es schneller und besser gelingen, sich in neuen, vielversprechenden Bereichen einer CO₂-armen Energiewirtschaft Marktanteile zu sichern. Auf der anderen Seite gilt: Wer sich im Versorgerbereich nicht proaktiv transformiert, verliert.
Proprietäre, sektorspezifische Transformationsratings unterstützen Analysten von Union Investment dabei, auch in langfristigen und schwierigen Umbruchphasen Unternehmen systematisch bewerten zu können. Die Ergebnisse dieser Beurteilungen zeigen auf, welche Unternehmen sich besser und schneller wandeln und damit für ein Investment anbieten – und welche eben nicht.
Dr. Thomas Deser zur Transformation des Versorgersektors
- 1 Siehe dazu auch durchGEDACHT: Klimaretter Wasserstoff.
- 2 Darunter sind Situationen zu verstehen, in denen weder die Sonne (stark genug) scheint, noch ausreichend Wind weht, um eine stabile Stromversorgung sicher zu stellen.
- 3 Einen ähnlichen Effekt besitzen auch die Transformationsprozesse im Chemiebereich, da des-sen innovative Vorleistungsgüter dabei helfen, Produkte auch in anderen Sektoren CO2-ärmer herstellen zu können. Siehe dazu auch den ersten Text in der Transformation Insight-Reihe „Von Schmutzfinken und Putzerfischen“.
- 4 Siehe dazu auch das Themenpapier durchGEDACHT: Nicht ganz sauber.
- 5 Zu diesem Sektor siehe auch das Transformation Insight: Die Route wird neu berechnet.
- 6 „Smart Grids“ kombinieren die Erzeugung, Speicherung und den Verbrauch von Strom. Eine zentrale Steuerung stimmt sie optimal aufeinander ab und gleicht somit Leistungsschwankungen – insbesondere durch fluktuierende erneuerbare Energien – im Netz aus. „Smart Home“ steht für die immer stärkere Vernetzung und zentrale Steuerung einer Vielzahl von technischen Gerä-ten innerhalb eines Haushalts und einer dafür notwendigen, effizienten Energienutzung.
- 7 Siehe in diesem Zusammenhang und zur genaueren Erläuterung auch EU Sustainable Finance (April Package).
Autoren:
Dr. Thomas Deser und Mathias Christmann
Stand: 17. Mai 2021